Warum sollten wir ordentlich sein?

Ordnung hat einen guten Ruf. Wer nicht aufräumt, gilt als unstrukturiert und chaotisch. Denn Unordnung ist die Pest. Deshalb bemühen wir uns, überall Ordnung zu schaffen – in den Kleiderschränken, auf dem Schreibtisch, im Straßenverkehr und selbst in der alltäglichen Zusammenarbeit. Woran liegt das? 

Ordnung ist das halbe Leben – das hat man uns schon in der Kindheit eingetrichtert. Sätze wie „Kind, räum dein Zimmer auf“ oder „Wie siehst du denn aus, zieh dich ordentlich an“ klingeln uns heute noch in den Ohren, wenn der Chef oder der Arbeitskollege uns wieder einmal daran erinnern, die Papierberge oder die schmutzigen Kaffeetassen vom Schreibtisch zu entfernen. Oft reagieren wir darauf mit Widerwillen, denken dann vielleicht an den deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche, der sagte: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären“, oder an verpönte bürgerliche Tugenden wie Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin und Ordentlichkeit. Spießig wollen wir keinesfalls sein, ebenso wenig wollen wir aber als unordentlich oder chaotisch gelten. Also räumen wir auf und schaffen Ordnung, auch wenn es uns schwerfällt.

Denn Ordnung muss sein. Das gilt für die komplette Geschichte des Homo sapiens. Ohne Ordnung und Regeln hätten es unsere Vorfahren vor 70.000 Jahren nicht geschafft, zu überleben und wie kein anderes Lebewesen Gemeinschaften zu bilden, die heute Staaten umfassen. Das erkannte der griechische Philosoph Platon schon vor mehr als 2.000 Jahren: „Alles nämlich, was im Staat nach Ordnung und Gesetz geschieht, bewirkt jegliches Gute, das meiste Ordnungswidrige und schlecht Angeordnete dagegen hebt wieder anderes, was wohl angeordnet war, auf.“ 

Die Furcht vor dem Chaos

Die Ordnung ist also gut, sie wirkt sich  positiv auf das Zusammenleben von Menschen aus. Sie macht es möglich, dass wir im Kollektiv zusammenleben oder in Teams zusammenarbeiten können. Denn der Mensch, so der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes, ist in seinem Wesen eigentlich egoistisch und immer auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Aus Furcht vor dem möglichen Chaos, das durch den mensch-lichen Egoismus entstehen könnte, schließen wir uns zu Gesellschaften zusammen, in denen soziale Ordnung herrscht. 

Sicherheit und Ruhe

Die Ordnung ist also quasi in unserer DNA verankert, weil wir Stabilität und Übersicht lieben und unsere Welt gern sortieren. Ordnung ist also kein Tick. Sie ergibt Sinn und gibt uns Sicherheit und Ruhe. Idealerweise in allen Lebenssituationen – zu Hause, auf Reisen und auf der Arbeit. Dafür gibt es Ordnungssysteme, Normen, Regeln und Gesetze, die wir benutzen, weil sie uns Luft verschaffen können. Nur wenn Ordnung herrscht, können wir uns dem Neuen zuwenden. Dazu gehören angenehme Nebeneffekte wie neue Freundschaften oder neue Hobbys, weil die Ordnung uns in Summe freie Zeit verschafft. 

Der Satz „Ordnung ist das halbe Leben“ ist also blanke Tiefstapelei. Der Weg dorthin ist aber anstrengend. Das besagt bereits das Sprichwort „Ordnung ist nicht schwer, Ordnung halten aber sehr“. Wir Menschen sind aber bequem und wollen es uns so einfach wie möglich machen. Vielleicht ist dies der Grund, warum Ordnungssysteme aus Möbelhäusern oder Discountern Verkaufsschlager und Ratgeber zu diesem Thema Weltbestseller sind. Wir hoffen, dass sie uns das Ordnunghalten erleichtern. Denn jeder, der Unordnung hält, weiß: Suchen kostet Zeit.
 
Ordnung benötigt Zeit

Neun Minuten sucht jeder Büroangestellte täglich auf seinem Schreibtisch nach Verlegtem. Erstaunlicherweise schnitten diejenigen schlechter ab, die Ordnungssysteme führen. Sie kramten im Schnitt 36 Prozent länger nach ihren Unterlagen, so eine Studie der New Yorker Columbia University. Der Preis der Ordnungsliebe: Ordentliche Menschen verbringen mehr Zeit damit, zu strukturieren, zu verstauen und später an den jeweiligen Orten wieder danach zu suchen. Das ist aber nur ein schwacher Trost für jene, die das Chaos lieben. „Hätte beispielsweise Picasso sein Künstlerleben nur mit chaotischen Ideen verbracht, hätte er nur Trash produziert“, sagt der Kreativitätsforscher Rainer Holm-Hadulla. Viele Studien belegen, dass Künstler und Wissenschaftler zielgerichtet, diszipliniert und strukturiert arbeiten. 

Also, was ist zu tun? Haben wir einfach Mut, Ordnung in das tägliche Gewusel am Arbeitsplatz zu bringen. Es wird uns Stabilität und Balance verleihen – denn gerade in Zeiten wie diesen ist die alte Volksweisheit „Ordnung ist das halbe Leben“ eine glatte Untertreibung.